Der im Südwesten der Türkei gelegene Ort Patara war in der Antike eine der wichtigsten Städte des Lykischen Städtebundes mit dem wichtigsten Hafen. Außerdem ist dies der Geburtsort vom berühmten Nikolaus dessen wir in der westlichen Welt jedes Jahr am 6. Dezember gedenken.
Heute ist von der, für damalige Verhältnisse, großen Stadt nicht mehr übrig als Ruinen, die erst seit jüngster Zeit ausgegraben und wieder aufgebaut werden. Der Ort heißt jetzt Gelemis, wird aber von niemandem so genannt und befindet sich jetzt, ca. 2-3 km von seinem schönen 12km langen Sandstrand entfernt, weiter im Landesinneren.
Das sich der Ort soweit weg befindet hat einen triftigen Grund.
Die Gegend rund um die Ruinen ist geschützt, ebenso wie der schöne Strand.
Wer denkt, dass es an so einem atemberaubenden Strand (er zählt zu den 5 schönsten Stränden der Erde) nur so von Touristen wimmelt und ein Hotel neben dem anderen steht, der hat sich getäuscht. In der Nähe des Strandes dürfen keine Hotels, keine Häuser, nicht mal Hütten oder Laternen gebaut werden. Nach 20 Uhr darf sich dort niemand mehr aufhalten. Man soll keinen Sand mitnehmen, keine Löcher buddeln, kein Feuer machen und keine Tiere mit an den Strand nehmen.
Doch wozu diese ganzen Maßnahmen? Wegen „Caretta Caretta“.
Vor meinem Abflug wusste ich schon, dass es dort Schildkröten gibt, aber als ich hörte das es sich um die Unechte Karettschildkröte handelt, begannen meine Augen zu funkeln.
Ich habe mir schon einige Dokumentarfilme über dieses Tier angeschaut und im Fernsehen gesehen wie dieses Tier Nachts an den Strand robbt um seine Eier abzulegen und ich habe im Fernsehen gesehen wie die frisch geschlüpften Babys schnellstmöglich ins Meer hechten um nicht von Möwen, Füchsen oder Krebsen an Land gefressen zu werden.
Ich wollte dieses Tier auch unbedingt live erleben und habe im Reiseführer einen kleinen Artikel darüber gefunden. In diesem steht, dass man Caretta von Juni bis mitte August Nachts am Strand antreffen könne. Mitte August….die Zeit drängte, dachte ich mir. Problem…Nachts laufen Patrouillen am Strand auf und ab, um die Nester zu schützen. Selbstverständlich habe ich es mir nicht nehmen lassen gleich am nächsten Tag länger am Strand zu bleiben. Außer einem wunderschönen Sonnenuntergang, bei dem die Sonne langsam ins Meer eingetaucht ist und den Himmel dabei rot gefärbt hat, war jedoch leider nichts zu sehen.
Unser Pensionsleiter Mehmet versicherte mir Tags darauf, dass man die Schildkröten bis Anfang September am Strand sehen könne.
Das kam mir sehr komisch vor, las ich doch zuvor mitte August. Bei meinen Recherchen stieß ich auf Paarungszeit im April/Mai, 2 Wochen reifen die Eier, dann werden sie gelegt. Jede Schildkröte legt dabei 2-3 Nester. Demnach würden die ersten Schildkröten mitte Mai ihre Eier ablegen. Bis August würde sich die Prozedur bestimmt nicht hinziehen. Dennoch hielt es meine Hoffnung aufrecht in meinem Urlaub mindestens eine Schildkröte zu sehen, schließlich war Mehmet in dem Dorf geboren und aufgewachsen.
Am 13.08 ging es dann zunächst auf Kanutour auf dem Fluss Xanthos, der im übrigen durch seine Sandanschwemmungen den Hafen Pataras so zu gesandet hat, dass der Hafen und einige Zeit später die ganze Stadt, aufgegeben werden musste.
Dort soll es zu Hauf Wasserschildkröten geben von denen ich jedoch keine einzige gesehen habe. Danach blieben wir am Meer bis Mitternacht. Ich war total aufgeregt und bin lange Zeit mit meiner Freundin und ihrer Family den Strand entlang. Als wir kaputt waren legten wir uns in den Sand und haben unzählige Sternschnuppen gesehen. Von der Unechten Karettschildkröte fehlte allerdings jede Spur. Es gab nicht einmal Anzeichen, dass vor kurzem eines der ca. 1m langen Tiere den Strand betreten hätte. Als es dann Mitternacht war und wir abgeholt wurden war die Enttäuschung groß. Es gelang mir immer noch nicht eine Caretta Caretta ausfindig zu machen.
Ich musste also wieder recherchieren. Der Wikipedia Artikel über die Unechte Karettschildkröte ist sehr mager und Patara wird in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnt. Alles was ich zunächst fand waren zwei Berichte über Forschungen bzw. Auszüge, die sich lediglich mit der Anzahl der Nester und der Entfernung dieser zur Wasserlinie und den unterschiedlichen Temperaturen beschäftigten.
Wer das nachlesen möchte kann dies hier und hier tun
Zwischenzeitlich fing der Sohn des Pensionsleiters eine Schildkröte am Fluss ein und brachte sie mir mit. Dank Süleyman (auf den ich später noch zurückkommen werde) konnte ich sie als Westkaspische Schildkröte Mauremys rivulata identifizieren.
In diesem Sinne nochmal vielen Dank an Süleyman
Ein aus meiner Sicht sehr auffälliges Merkmal ist der sehr lange Schwanz. Von der Proportion her erinnert mich das an die Schnappschildkröte. Das es sich dabei nicht um eine solche handelt ist allein wegen des Verbreitungsgebietes und der Form der Beine und des Kopfes auszuschließen. Mir fiel auf, dass der erste Instinkt bei Gefahr derjenige der Flucht und nicht der des Kopfeinziehens ist, wie es bei unseren großen Boettgeris der Fall ist. Dabei war sie selbst an Land erstaunlich flink.
Wie bei vielen anderen Wasserschildkrötenarten auch, ist der Panzer flach und oval, weist aber einige Höcker auf.
Leider war ich bei der Freilassung nicht dabei und habe sie nicht in freier Wildbahn sehen können, sodass ich keine Erkenntnisse über ihre Lebensweise gewinnen konnte.
Im Netz fand ich bei meinen weiteren Recherchen nach Caretta Caretta in Patara dann eine Rohfassung eines Interviews des HR mit einem gewissen Onur Türkecan aus dem Jahr 2011. Dort steht, dass er jeden Tag im Sommer den Strand von Patara auf und ab läuft um die Nester mit Gittern vor streunenden Hunden und anderen Tieren, aber natürlich auch vor dem Menschen zu sichern. Meine Hoffnung flammte wieder auf. Schnell hatte ich seine e-Mail Adresse herausgefunden und schrieb ihm, dass ich ein deutscher Student und Schildkröten-Fan bin und ich unbedingt bei einer seiner Touren dabei sein möchte.
Gespannt wartete ich auf seine Rückmeldung.
In der Nacht darauf kam sie.
Nach den ersten Zeilen die Ernüchterung: „Unfortunately I am not in Patara this year“
Doch dann das große ABER, denn er gab mir den Namen der Pension in dem das diesjährige Field-Team nächtigte.
Am nächsten Morgen ging ich also zur Pension, stellte mich vor und erzählte, dass ich mit Onur Türkecan gesprochen hätte und ich gerne mal Nachts mit an den Strand möchte. Und so wurde mir , der noch etwas verschlafene, Süleyman Ceylan vorgestellt der kurz zuvor von seiner morgendlichen 11km langen Wanderung zurückgekehrt ist.
Er sicherte mir sofort zu, dass ich noch in der gleichen Nacht mit ihm mitkommen könnte. Dann zeigte er mir noch einen Eimer mit kleinen, schwarzen, frisch geschlüpften Carettas, die er eingesammelt hatte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich war am Ziel. Endlich habe ich mit eigenen Augen die unechte Karettschildkröte zu sehen bekommen. Leider hatte ich keinen Fotoapparat dabei. Den hatte meine Freundin.
Die Verständigung auf englisch erwies sich als etwas schwieriger als gedacht. Wahrscheinlich weil wir beide im Alltag die Sprache so wenig sprechen. Wir verabredeten uns für 9:30 Uhr an der Pension, damit ich mit ihm mit kommen konnte die Schildkröten am Strand in die Freiheit zu entlassen.
Gesagt, getan!
Da ich es auf keinen Fall verpassen wollte war ich schon um viertel nach 9 an der Pension, doch als ich ankam war von Süleyman weit und breit nichts zu sehen. Ich fragte nach ihm und sein Kollege erzählte er sei schon los. Mein Herz blieb fast stehen. Ich war geschockt. Hatte er mich etwa vergessen? Nach einigem Hin und Her beschloss ich auf ihn zu warten. Als er wieder kam meinte er ich sei zu spät gewesen. Es sollte wohl um 9 Uhr losgehen und gegen halb 10 wären wir dann wieder zurück. Vor lauter Aufregung habe ich ihn wohl falsch verstanden. Doch er wollte am nächsten Abend wieder raus und da könne ich mitkommen. Um NEUN Uhr.
Am nächsten Abend ging ich mit meiner Freundin pünktlich zur Pension. Süleyman wartete schon auf uns, zeigte uns wieder einen Eimer mit Babyschildkröten. Diesmal hatten wir auch einen Fotoapparat dabei.
Leider wollte der Apparat nicht so wie wir es wollten.
Anstatt den Fokus auf die Schildkröte zu richten meinte der Apparat unbedingt die tolle Tischdecke scharf stellen zu müssen oder meine Hand oder irgendetwas anderes, hauptsache es handelte sich dabei nicht um eine Babyschildkröte. So ist dieses Bild, leider das einzige was halbwegs zu gebrauchen ist. Die kleinen waren richtig putzig und je länger das Licht auf sie schien desto zappeliger wurden sie und drängten darauf endlich in die Freiheit entlassen zu werden.
Nach ein paar Fotos fuhren wir zum Strand und was wir dort sahen war für mich eins der schönsten Momente in meinem Leben. Wir ließen die zuvor eingesammelten Babys am Strand frei und beobachteten wie sie in dieser sternenklaren Nacht in Richtung Meer hechteten, welches im Mondschein weißlich-golden glitzerte.
Es war ein atemberaubender Moment, den ich niemals vergessen werde. Einigen Tieren machte die Brandung etwas zu schaffen und sie wurden mal ein Stück ins Meer gezogen und dann wieder an Land gespült, aber am Ende schafften es alle. Die Krebse, die dieses mal als einzige natürliche Feinde am Strand lauerten, haben wir vertrieben. Leider durfte ich zum Schutz der Tiere keine Fotos mit Blitz machen und ohne war es einfach zu dunkel.
Zurück in der Pension tranken wir nach türkischer Sitte einen Tee mit Süleyman und seinem Kollegen Ämin und unterhielten uns über Schildkröten und unsere Studiengänge und selbstverständlich auch über die Situation der unechten Karettschildkröte in Patara. Demnach wurden dieses Jahr knapp über 170 Nester gezählt, was für einen solchen riesigen Strand mit guten Bedingungen zwar eine extrem niedrige Zahl ist, aber es ist zum Glück auch mehr als in den Jahren davor.
Ich frage mich ob es die Schuld des Menschen ist, dass so wenige Exemplare dort ihre Eier ablegen und es früher mal bedeutend mehr waren oder ob diese Art erst seit kurzer Zeit, vielleicht 1000-2000 Jahren dort nistet. Um eine Population von 100 Tieren aufzubauen,welche mit gerade einmal einem Tier beginnt, kann es nämlich rein rechnerisch sehr lange dauern. Aus 1000 Eiern schlüpfen gerade einmal 2 Nachkommen die die Geschlechtsreife erreichen und für ihre Eiablage dann zum ersten mal nach ca. 30 Jahren an genau den selben Strand zurückkehren. Wie sie den Weg finden ist noch nicht endgültig erforscht, es wird aber vermutet, dass sie sich auf dem Weg vom Nest ins Meer das Magnetfeld einprägen und so ihren Geburtsstrand wiederfinden können. Auch wenn ein einzelnes Tier 2-3 Nester á 100 Eier legt kann man sich ja leicht ausrechnen, dass es sehr viele Generationen dauert, bis sich die Population von einem auf 100 Tiere ausgeweitet hat. Das so wenig Schildkröten erwachsen werden liegt zum einen an der großen Zahl der Fressfeinde wie Möwen, Füchse und Krebse die die Schlüpflinge auf dem Weg ins Meer bereits stark dezimieren und zum anderen am Beifang. Laut WWF verenden jährlich 250.000 Meeresschildkröten Qualvoll als Beifang. Des Weiteren ist aber auch die Embryonale Sterblichkeitsrate sehr hoch wie A. ÖZDEMIR, O. TÜRKOZAN und Ö. GÜÇLÜ der Adnan Menderes Universität 2007 beobachteten. In ihrem Paper „Embryonic Mortality in Loggerhead Turtle (Caretta caretta) Nests: A Comparative Study on Fethiye and Göksu Delta Beaches“ halten sie fest, dass sie in 43,75% der Eier tote Embryonen gefunden haben.
Diese lange Regenerationszeit ist in Verbindung mit der Dezimierung durch den Menschen ein Grund weshalb diese Art so stark vom Aussterben bedroht ist.
Der Mensch hat sie lange Zeit gejagt um das Fleisch zu essen und die Panzer als Schilde, Schmuck oder Möbel verwendet. Auch die Eier sind sehr beliebt ebenso wie das Fett, welches für Kosmetika verwendet wird. In den letzten Jahrhunderten wurde der Bestand stark dezimiert und durch die Massenfischerei schreitet der Prozess immernoch voran. Selbst wenn ab sofort keins der Exemplare mehr durch Menschenhand stirbt, würde es Jahrtausende dauern bis sich die Bestände wieder vollständig regeneriert haben. Daher ist die Arbeit von Tierschützern, die die Nester bewachen und die Tiere auf ihrem Weg ins Meer gegebenenfalls noch vor Fressfeinden schützen, so wichtig. Onur, Süleyman und Ämin sind freiwillige Helfer, die nur einen sehr geringen Lohn für ihre kostbare Arbeit bekommen.
Süleyman erzählte mir, dass der Staat für Forschungszwecke jedes Jahr 2 Peilsender zur Verfügung stellt, die am Panzer der Schildkröten befestigt werden. Dieses Jahr hat man aber keine der bisher gekennzeichneten Tiere angetroffen. Leider wurden dieses Jahr wohl auch keine neuen Peilsender ausgeteilt.
Neben der unechten Karettschildkröte lassen sich aber auch regelmäßig zwei Vertreterinnen von Chelonia Mydas, der sogenannten Suppenschildkröte blicken. Über sie habe ich aber keine genaueren Informationen in Erfahrung gebracht. Sie gaben mir einige wissenschaftliche Artikel über diverse Schildkrötenarten aus der Region mit und wir tauschten unsere e-Mail Adressen aus, damit er mir ein paar Bilder zuschicken konnte die ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte.
Zu guter Letzt möchte ich mich noch einmal bei Süleyman und bei Ämin bedanken, aber auch Onur darf nicht unerwähnt bleiben.
Es war ein sehr atemberaubender und interessanter Abend und ich kann garnicht ausdrücken wie glücklich ich bin, die Babyschildkröten gesehen haben zu dürfen.
Vielen Dank! 🙂